Der Zündler und sein Voyeur

Es ist langsam eine Strategie erkennbar: Kurz und Co versuchen, ihr Heil in einer Verteidigungshaltung gegenüber der EU zu suchen. Denn innenpolitisch geht in Wahrheit gar nichts weiter. Und die FPÖ zündelt wie eh und je gegen die Grundfesten der europäischen Gemeinschaft.

Ob Kürzung der Familienbeihilfe der im Ausland lebenden Kinder, die Verwässerung der DSGVO, die Kürzung der Mindestsicherung für EWR-Staatsangehörige: alle diese Vorhaben der Regierung unter Kurz und Strache werden ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen. Denn es ist doch sehr wahrscheinlich, dass hier europäisches Recht gebrochen wird. Nicht mal die eigenen Rechtsgutachten im Bundeskanzleramt oder im Finanzministerium zeichnen ein positives Bild!
Jetzt kann es einfach ignorante Unfähigkeit sein, die diese Regierung definiert. Im Grunde ein durchaus nachvollziehbarer Schluss, anbetracht der Regierungsmitglieder. Doch es scheint sich immer mehr eine andere Sichtweise zu bewahrheiten, über die ich schon vor einigen Wochen geschrieben habe.
Es geht darum, die EU zum Sündenbock zu stempeln, unter dem Motto „Wir wollten ja, aber die bösen Technokraten in Brüssel sind immer gegen die armen Österreicher!“
Das ist die angebliche „europafreundliche“ Art von Kurz. In Wahrheit zieht Österreich unter diesen Typen immer mehr in den tiefen Osten. Freilich unter dem Jubel der Rechtsausleger in der FPÖ.
Dann zündelt der Vizekanzler mit unausgegorenem Phrasendreschen und Unterwanderung der europäischen Grundsätze (Stichworte hierzu sind „Schlepperorganisation Frontex“ sowie „Arbeitnehmerfreizügigkeit“) und Kurz fällt im Grunde nichts dazu ein. Abgesehen von seinen insgesamt etwa 25 Textbausteinen, die immer wieder in unterschiedlicher Kombination zum Einsatz kommen. Er verhält sich wie ein Voyeur, der erregt auf die Auswirkungen des Zündlers wartet.
Diese langsam vor sich hin köchelnde Anti-EU-Strategie macht noch mehr Sinn, wenn man sich die Innenpolitik ansieht. Da klappt im Grunde gar nichts. Die tollen Reformen sind entweder gar keine, sie kommen nicht oder werden völlig anders umgesetzt als verkauft. Bis sich das bei den Kurz-Wählern des Oktobers 2017 herumgesprochen hat, wird noch ein wenig Zeit vergehen. Wenn es dann soweit ist, dass die Ersten erkennen, in Kurz keinen Reformer, sondern nur einen Apparatschik mit Allmachtsfantasien gewählt zu haben, wird die Anti-EU-Karte eingesetzt werden. Denn es ist ja möglicherweise diesmal kein Asylwerber oder integrationsunwilliger Türke bei der Hand, um  ängstlichen Landbewohnern erneut ein Kreuzerl am Wahltag abzuringen. Denn mit dem Reformschmäh wird der Kurz kein Leiberl mehr reißen!
Und die einstige Europa-Partei ÖVP schaut einfach zu, wie ein Studienabbrecher ohne Berufsausbildung mit seinen Paladinen die (wenigen) schwarzen Vorzüge immer mehr auslöscht! Ganz toll!
PS: Wer immer noch behauptet, Österreich habe von der EU nicht profitiert, lügt oder kennt sich nicht aus. Wer behauptet, dass Österreich besser ohne EU-Mitgliedschaft wäre, ist von enorm schlichtem Gemüt. In einem Land, in dem praktisch jeder zweite Arbeitsplatz von internationalen Wirtschaftsbeziehungen abhängt, davon mehr als zwei Drittel mit anderen EU-Staaten!
Wer meint, eine zersplitterte EU mit nationalstaatlichem Schrebergartendenken, Grenzzäunen und Abschottungen ist einem geeinten Europa vorzuziehen, hat aus der Geschichte nichts gelernt und offenbar auch noch niemals eine Weltkarte angesehen. Diese Fakten lassen sich auch nicht durch hysterische „Fake News“- Agitationen, durch bewusste Manipulation von Nationalisten oder schlicht durch Unwissenheit, gepaart mit erschreckender Ignoranz („Früher haben wir die EU auch ned g’habt und alles war besser!“) wegleugnen.