Nach der Wahl die Qual

Trotz eines angeblichen Wunsches nach Veränderung wählten drei Viertel der Österreicher wieder nur Altparteien. Und es wird nicht lange dauern, bis man die Worte „Man hat es auch gesagt!“ wieder öfters hören wird. Dabei ist Schadenfreude fehl am Platz.

Die Wahl ist geschlagen. Endlich, ist man versucht zu sagen. Kurz hat (überall) gewonnen, Kern eindeutig in Niederösterreich die Wahl verloren, die FPÖ hat in Wien und großen Städten geschwächelt und damit Platz 2 vergeigt. Grün ist tatsächlich rausgeflogen und die alternativen Angebote zu politischer Abwechslung und Veränderung (NEOS, Pilz) schnitten im Grunde enttäuschend ab.
Es ging in dieser Wahl nur um die (vor allem am Land eingebildete) Islamisierung und Integrations-Misere. Personen in kleinen Gemeinden, die noch selten einen Ausländer gesehen haben, fürchten sich durch die aufgehetzte Alarmstimmung vor Syrern und Islamisten. Beides eine Lächerlichkeit im Angesicht unleistbarer Mieten, der Unmöglichkeit eines Vermögensaufbaus für 80% der Bevölkerung und der dringend notwendigen Schulreformen.
Die Menschen in den ländlichen Gebieten haben Zukunftsängste. Verständlich, bei keinen Jobs, keiner ausreichender Kinderbetreuung, keinen adäquaten Schulen und Wohnsituationen, keinem öffentlichen Verkehr und mangelhafter Nahversorgung und Ärzten. Aber anstatt Parteien abzuwählen, die an diesen Umständen Schuld haben, lässt sich die Landbevölkerung durch Anti-Islamierungs und lächerlichen Fairness-G’schichtln von den wirklichen Problemen ablenken.
Daher ist auch der erneute Unterschied zwischen anti-liberaler, rechts-konservativer und pessimistischer Landbevölkerung und progressiven, liberalen und optimistischeren Stadtwählern (erkennbar ab Einwohnerzahlen über 30.000 Einwohnern) wenig erstaunlich. Diese Kluft ist ein Problem, noch viel mehr als in den 1980er Jahren und davor. Parteien wie NEOS, SPÖ, aber auch die Grünen sind angehalten, diese Kluft mit Argumenten und erlebbaren Verbesserungen für die Landbevölkerung zu schließen.
Wenn Kurz, wie von mir schon im Mai geschrieben, eine Koalition mit der rechts-extremen, von deutsch-nationalen Burschenschaftern vereinnahmten FPÖ abschließt, wird es keine Ausreden für die ÖVP geben. Für jeden braunen Einzelfall-Rülpser, jede antieuropäische Provokation, jede „völkische Dummheit“, jeden Korruptionsversuch ist Kurz direkt verantwortlich.
Und hoffentlich wird so selten wie möglich der Satz „Das sollte nicht verwundern, es wurde oft genug davor gewarnt!“ zu hören sein. Ich bezweifle das allerdings!
Für FPÖ-Wähler gibt es diesmal keine Ausreden: wer diese Partei angekreuzt hat, ist entweder Rassist, Anti-Liberaler, Deutsch-Nationaler, Misogyn, einfach sehr schlicht oder eine Mischung daraus.
Die Koalitionsverhandlungen sind gerade gestartet worden. Es wird sich zeigen, in welche Richtung es gehen wird. Sollten tatsächlich brauchbare und sinnvolle Reformen und Anpassungen für (fast) alle Österreicher erfolgen, so ist das uneingeschränkt zu begrüßen. Ich kann mir das bei zwei Klientel-Parteien wie ÖVP und FPÖ nur schwer vorstellen. Warten wir ab.
Aber ich bleibe dabei: wer eine anti-europäische, anti-liberale und rechts-extreme Partei wie die FPÖ in eine Regierung holt, hat keinerlei Vertrauensvorschuss von meiner Seite zu erwarten oder gar erhoffen. Ich lehne die FPÖ in jeder Regierungsverantwortung strikt ab und mache ÖVP und SPÖ für die Normalisierung einer solchen politischen Gruppierung verantwortlich!