Plan A im Kern

Ansage, Ansicht und vor allem Auftakt zum Wahlkampf: Kanzler Kerns, für Österreich sehr untypische, Rede in Wels samt dazupassendem Handbuch versucht, mehrere Baustellen mit einem programmatischen Gerüst abzustecken und zu sichern. Ob das gelingt?Natürlich werden hier einige tatsächlich wichtige Punkte angesprochen, von der Notwendigkeit flexiblerer Arbeitsbedingungen ohne Ausbeutung, exzellenten Unis jenseits von sinnlosen Studiengebühren hin zu Förderung der Geeigneten, die Reform des Staates und, nicht zu unterschätzen, die Änderung des Wahlmodus.
Daneben sind die für eine Partei wie der SPÖ selbstverständliche Forderungen enthalten, allerdings schön brav immer mit einem Bein in der politischen Mitte der heimischen Gesellschaft, wohin die SPÖ ja auch gehört (zum Nachlesen für Musiklehrer und Studienabbrecher: die SPÖ ist eine Partei im Mitte-Links-Spektrum, daher darf und muss sie Vermögenssteuern und soziale Gerechtigkeit, auch glaubhaft, einfordern!).
Dass etwa die Hälfte der Punkte nicht umsetzbar ist, soll nicht stören, denn eine Zukunftsvision oder wenigstens der Versuch dazu muss nicht in einer Legislaturperiode umgesetzt werden. Schon darüber im großen Rahmen zu sprechen, ist für das Land gut und richtig.
Aber unter dem Strich: was bezweckt der Kanzler mit diesem Plan A?
Zunächst ist es eine klar programmatische sowie inhaltliche Positionierung für den Wahlkampf, wann immer dieser nun beginnt. Für die eigene Partei ebenso wie für die möglichen Wähler und Herausforderer. Da und dort werden wohl nicht alle Gustos getroffen werden. Mir persönlich widerstrebt die weitere Untergrabung von EU-Solidarität vonseiten einer Partei (Arbeitnehmerfreizügigkeit), die sich lautstark über die unsolidarische EU bei der Flüchtlingskrise beklagt, besonders.
Dennoch ist es ein Versuch Kerns, eine breite Angebotspalette an Dreiviertel aller Wähler anzubieten – nur die rechtsextremen Rassisten haben im Plan A (zum Glück) nichts für sich gefunden!
Die Sache mit dem Mehrheitswahlrecht ist m. E. das Resultat aus dem Wiener Landtagswahlkampf 2015 und der Bundespräsidentenwahl vom 4.12.2016. Wenn Kern fordert, die Stimmenstärkste Partei soll automatisch den Kanzler oder die Kanzlerin stellen, kokettiert er mit zwei Annahmen. Die erste fußt in den oben erwähnten Ergebnissen, die nahe legen, dass in breiten Teilen Österreichs eine FPÖ-Führung strikt abgelehnt wird. Die zweite fußt in den (tatsächlich noch) fabelhaften Beliebtheitswerten von Kern, wenn es um die Frage nach der Kanzlerschaft geht. Zusammen entsteht die strategische Kombination, dass die Menschen ihn als Kanzler wollen – und ihn dann als Kanzler, mit einem Kreuz bei der SPÖ, auch bekommen. Dieser Schmäh ist natürlich nicht neu, die ÖVP NÖ geht seit Jahrzehnten damit hausieren und ist bisher auch erfolgreich gewesen (wer Pröll will, muss ÖVP wählen, sonst geht am Montag nach der Wahl die Sonne nicht mehr auf). Häupl hat 2015 mit klarem Vorsprung völlig unerwartet gegen Strache gewonnen, weil ihm ÖVP- sowie Grün-Affine eine Stimme gaben.
Ob das jemals wieder in Niederösterreich (oder Wien) klappen wird, wage ich zu bezweifeln, und auf Bundesebene ist es noch fraglicher.
Aber es ist eine Ansage von Kern, die eines zeigt: er will führen, er will gestalten, er will umbauen. Und das ist eine ganze Menge, unterstützt durch seine professionelle, moderne Art der Präsentation. In Bedrängnis kommt vor allem die ÖVP – ob gerechtfertigt oder nicht, möge jeder selbst beurteilen, der Bilder von der Rede Kerns mit den Bildern der ÖVP-Klausur in Pöllauberg vergleicht. Modernität und Progressivität, liebe ÖVP, unter dem Schatten einer Kirche auf einem Berg, sieht leider anders aus.