Zwei Seiten einer Straftat

Ein und dieselbe Straftat, zwei unterschiedliche Auswirkungen. Eine Anmerkung zur veröffentlichten jährlichen Verbrechensstatistik.

Vorweg: jede Straftat ist eine zuviel, alle Betroffenen Opfer. Jenen ist verständlicherweise jede Statistik egal. Zum Glück betrifft das in Österreich nicht viele! Aber ein Eintrag innerhalb einer Statistik ist einfach mehr, als nur eine einfache Zahl. Darin liegt auch das Problem des realen und gefühlten Sicherheitsgefühls.
Ein Beispiel dafür der (fiktive) Handtaschenraub bei zwei Seniorinnen in Wien: selbes Delikt mit gleicher Vorgangsweise (beim Vorbeilaufen die Tasche aus der Hand reißen) mit selbem Schaden. Ergibt nach Anzeige zwei Striche in der Raubstatistik.Im Fall eins ist die Seniorin alleinstehend, hat keinen Freundeskreis und ein schlechtes Verhältnis zu ihrer verbliebenen Familie. Der Raub ihrer Handtasche wird womöglich sogar als Eigenverschulden der alten Frau gesehen. Die soziale Auswirkung der Straftat als Wellen im Umfeld der Frau geht gegen Null. Niemand interessiert sich dafür, die alte Frau wird sich nun noch ängstlicher, wenn überhaupt, auf die Straße wagen.
Im Fall zwei ist die Seniorin aktiv im Leben, mit großem Freundes- und Familienkreis. Dort schlägt der Raub hohe Wellen: Empörung über die dreisten Diebe, Mitgefühl für das Opfer. Bestätigung aller in der Annahme, die Verbrechensrate ist unglaublich hoch. Verstärkung des Eindrucks durch größere Reichweite der Verbreitung der Geschichte. Seniorin 2 zieht sich nicht zurück, sondern erzählt (auch als sinnvolle Bewältigungsstrategie) den Vorfall bei jeder Gelegenheit!

Somit erzeugt eine idente Straftat zwei völlig unterschiedliche Reaktionen in der Gesellschaft. Durch die persönliche Bekanntheit mit einem Opfer steigen die persönliche Betroffenheit und damit auch das subjektive Bedrohungsgefühl. Unter dem Motto „Wenn es schon Frau/Herrn Muster passiert ist…!“ Am Ende steht dann das pauschale „Die Handtaschenräuber sind überall!“.
Der Statistik wird nicht geglaubt, die womöglich einen Rückgang der Delikte verkündet. Da wird dann schnell das Wort „Vertuschung“ laut. Analoge Beispiele können auch mit einem Hauseinbruch oder dem Autodiebstahl durchgespielt werden.

Daher ist es immer problematisch, blanke Statistiken einer großen Mehrheit zu präsentieren, die keine geeigneten Instrumente zur Evaluierung hat und den persönlichen Erfahrungen immer mehr vertrauen und glauben wird!