Von Karnickel, ideologischer Kolonisierung und Meinungsfreiheit

Wie der Papst versucht, das 20. Jahrhundert zu verlassen und nach dem Motto „Ein Schritt vor und zwei zurück“ vorgeht.

Die ideale (christliche, katholische?) Familie hat 3 Kinder. Das reicht, mehr ist nicht nötig. Der Papst möchte Gläubige und keine Karnickel in den Kirchen dieser Welt. Seine Zauberformel hört auf den Namen „Verantwortungsbewusste Elternschaft“: das umfasst etwa kein Kinderkriegen auf Teufel komm raus (denn Waisen zu produzieren sei unverantwortlich!), aber auch keine Verwendung künstlicher Verhütungsmittel oder Kondome. Es gibt ja genügend Varianten der Empfängnisverhütung, die Männer im Vatikan erlaubt hätten.
Wieso es laut Papst unverantwortlich ist, wenn eine Frau nach sieben Kaiserschnitten noch eine achte Schwangerschaft hat, aber die Verwendung eines Kondoms zum Schutz vor Aids, das in weiten Teilen des südlichen Afrikas tausende Kinder ebenso zu Waisen werden ließ (abgesehen von Ansteckungen in Mutterleib, mit oder ohne Kaiserschnitt) ist eines dieser Mysterien, die einem Nicht-Vereinsmitglied in der Katholischen Kirche verschlossen bleiben. Aber es wird ja eine Familiensynode zu diesen Themen im Herbst 2015 geben.

Die „ideologische Kolonisierung“ ist da schon etwas verständlicher – und noch provokanter. Papst Franziskus kritisiert hier die Entwicklungshilfe, die an verschiedene Vorgaben geknüpft sein soll. Er bringt dann ein Beispiel von einem Darlehen für Schulbau, das die spätere Verwendung eines bestimmten Schulbuches mit der Gender-Theorie darin vorsah. Das sei ein Aufzwingen „westlicher Ideologien“, eine Angleichung aller Kulturen. Schon klar, eine weltweite Ausdehnung westlicher Ideologien wie Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Frieden ist schon ein wenig beängstigend für Glaubensgemeinschaften. Da geht ja in den Dritte Welt Ländern auch wirklich viel Folklore und Kultur verloren (z.B. Genitalbeschneidungen, Hexenverbrennungen, Radikalismus in jeder Form, Stammesfehden, Minderheitendiskriminierung,…) Aber Entwicklungshilfe, auch wenn diese an Bedingungen geknüpft ist, als Kolonisierung und Gleichmacherei zu sehen und mit faschistischen Jugendorganisationen wie der Hitlerjugend zu vergleichen, ist doch ein Chuzpe!

Und zur Meinungsfreiheit schwimmt sowieso jede kirchliche Organisation, die mit einem Generalanspruch auf Wahrheit herumirrt. Da wundert es nicht, wenn auch Franziskus meint „die Meinungsfreiheit muss der menschlichen Natur Rechnung tragen, sie muss klug sein. Man könnte auch sagen, sie muss gesittet sein.“ Der Papst meint, nur eine kluge, gesittete Meinungsfreiheit verhindert eine gewaltsame, womöglich ungewollte Reaktion auf manche Aussagen. Das werden viele ebenso sehen. Die Gefahr solcher Prämissen ist die Selbstzensur im Kopf, die schon vor jeder Meinungsbildung einsetzt.

Mit solchen Meinungen und Aussagen tun sich Papst und Katholische Kirche weiterhin schwer, das neue Jahrtausend zu erreichen. Reformen sehen für viele Gläubige in Österreich oder Westeuropa anders aus! Aber die sind ja auch schon ihrer Kultur und Identität durch ideologische Kolonisierung nach dem 2. Weltkrieg mit 70 Jahren Frieden beraubt worden.

Pressekonferenz des Papstes zum Nachlesen etwa auf dem Blog „Papstgeflüster“ http://blog.zdf.de/papstgefluester/