Sommertheater ums Binnen-I – mehr als eine Sommerloch-Debatte

Als Texter kann ich nur festhalten: das Wort LeserInnen ist nicht verwirrender als das Wort Gedächtnisstützentraining. Fehlende Lesbarkeit ist eines der Vorschubargumente geistig Gestriger!
Sprache entwickelt sich und ist permanenter Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung und Realität. Unter diese Kategorie fällt auch die aus meiner Sicht völlig notwendige Betonung beider Geschlechter innerhalb eines dafür geeigneten Subjekts (Hauptwörter wie Bezeichnungen, Werkstoffe, Zustände usw. fallen ja da eh nicht darunter).

Ob man/frau jetzt ein Binnen-I für LeserInnen verwendet oder Leserinnen und Leser ausschreibt ist eine stilistische Frage – jedoch sicher keine von mangelnder Lesbarkeit.

Doch ist es eine ideologische Beharrung, es nicht zu tun. Warum eigentlich? Es geht ausschließlich um das Hier und Heute. Und wer mit dem Hinweis auf die Eigentümlichkeit der deutschen Sprache die Mehrheit der Bevölkerung hinter durchwegs maskulinen Formen verstecken möchte, hat entweder nichts verstanden (was bei Elfenturm bewohnenden Geisteswissenschaftler ja vielleicht möglich ist) oder will einfach gesellschaftliche Umwälzungen durch linguistische Bewusstwerdung so verhindern.

Denn es geht schlicht um Angst. Angst, gewohnte soziale Gewissheit zu verlieren, geänderte (maskuline) Spielregeln akzeptieren zu müssen. (Und damit unterscheidet sich diese Debatte im Metabereich überhaupt nicht von der „Schwulen-Debatte“ oder der „Töchter-Debatte in der Bundeshymne“. Das zeigen ja auch die Protagonisten, die keine Ruhe geben.) Diese Menschen (nicht nur Männer, erstaunlicherweise) fühlen sich von der modernen Gesellschaft einfach überrollt. Gelernte Rollenbilder kippen langsam, aber beständig. Gelernte Werte werden laufend in Frage gestellt. Hier zeigt sich auch die Erkenntnis, dass besonders Personen nicht mitkommen, die der Meinung sind, nach der Schule braucht Nichts mehr gelernt zu werden. Ohne Bereitschaft, minimale Änderungen anzunehmen, enden diese Leute in den Gewissheiten „früher war alles besser“ und „das war immer so, das kann nicht einfach geändert werden!“ Das Binnen-I ist so eine Thematik. Es sind nicht „die Emanzen“, es ist ein konstanter Umbruch in der Gesellschaft, der auch langsam Zeit wurde. (Die letzte kam in den 70er Jahren, da waren es auch schon die „LatzhosenträgerInnen“ und die „langhaarigen Asozialen, die nur giftl’n und in Kommunen leben!“)

Sorge um literarische Pflege ist auch kein Argument! Niemand wird nachträglich Werke anhand dieser Kriterien umschreiben (obwohl Worte wie „Neger“ in Jugendbüchern, aber nicht nur da, meist zu „Sklave“ oder „Schwarzer“ umgeschrieben werden. – eine Herangehensweise, die ebenfalls die sprachliche Verankerung in der gesellschaftlichen Umwälzung verortet und von oben erwähnten Personen mit „das war immer so, warum soll es geändert werden“ kritisiert und lächerlich gemacht wird, ohne nennenswerten brauchbaren Diskussionsbeitrag!).

Seit dem Mittelhochdeutsch hat sich unsere Sprache laufend verändert, war und ist anthropologischen Einflüssen ausgesetzt und im ständigen Fluss. Rechtschreibreformen kamen, alte Normen gingen. Ein gewisser Prozentsatz an Beharrenden ist immer gegen alles Neue – aber hier geht es um eindeutig mehr.

Und es sind die immer gleichen Pappenheimer, die laut schreien: rechts von der Mitte der Bevölkerung angesiedelt, im Mief der Reaktion und innerhalb kleingeistiger Tendenzen gefangen, unfähig, über den limitierten Tellerrand zu blicken und die Tragweite ihrer Ignoranz zu erkennen. Viele dieser KritikerInnen haben ein gestörtes Verhältnis zu Gliedsätzen, Konjunktionen und Beistrichsetzung – aber einen Satz mit LeserInnen können sie nicht verstehen, weil unlesbar. Geh’ bitte! Womöglich liegt es am Satz selbst und an der deutschen Grammatik und Semantik? Hauptsache, der Boulevard mit seinen Artikeln auf Volksschulniveau bestätigt die eigenen Vorurteile.

Das Binnen-I oder Ausschreiben femininer und maskuliner Form in der deutschen Sprache ist wichtig und auch ohne großen inhaltlichen Aufwand durchführbar. Die Lesbarkeit leidet in einem nur sehr geringen Ausmaß, sofern der Text in seiner Gesamtheit gut lesbar ist. Zusätzlich ist die Macht der geschriebenen Sprache sehr groß: nicht umsonst versuchen so viele, diese Entwicklung umzukehren.

Auch wenn es einige Menschen nicht verstehen können oder wollen: LeserInnen oder Leserinnen und Leser bietet Gleichwertigkeit. Diese Version hat den Vorteil gegenüber den bisher gebräuchlichen Lesern, dass ein Verstecken der weiblichen Teile verhindert wird (nebenbei, gerade in der so pingeligen deutschen Grammatik ist es überhaupt nicht gesagt, dass Frauen unter den Lesern sind, also müsste es genau ausformuliert werden!)

Das ist im Moment für so manche und so manchen nicht wirklich einsichtig. Aber in den nächsten 10 Jahren ändert das sehr viel! Die LeserInnen sind nicht ein nutzloses Symbol irgendwelcher „Kampfemanzen“, sondern ein weiterer Schritt, die Marginalisierung der Frauen in der Gesellschaft zurückzudrängen! Die Sichtbarkeit femininer Formen in Texten zeigt den Weg.